Zusammenfassung der Veranstaltung „Gesundheit in Zeiten von Big Data“
Die digitale Transformation verändert auch das Gesundheitswesen. Immer mehr Daten können erfasst werden – sei es aus persönlichem Interesse per Smart Watch oder zur medizinischen Überwachung durch ein Spezialgerät. Dank KI-gestützter Software lassen sich diese großen Datenmengen heute schnell auswerten und leicht verständlich aufbereiten. Doch wem gehören diese Daten eigentlich? Wer will sie zu welchen Zwecken nutzen? Diese und andere Fragen standen bei acatech am Dienstag am 4. Juli in Kooperation mit der Evangelischen Stadtakademie München im Zentrum.
Sein Grußwort richtete Thomas Zeilinger, Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaft, diesmal nicht nur an die Anwesenden vor Ort in der Evangelischen Stadtakademie München, sondern auch an die Teilnehmenden im Livestream: Erneut fand die Kooperationsveranstaltung von acatech und Evangelischer Stadtakademie in hybrider Form statt. Und wieder stand ein Thema im Mittelpunkt, bei dem eine technische Entwicklung von ethischen Diskussionen begleitet wird: die Nutzung gesundheitsbezogener Daten.
Es sei wichtig, dass sich die Technikwissenschaften zu diesen Themen mit der Gesellschaft austausche, so acatech Präsidiumsmitglied Peter Dabrock in seiner Begrüßung. Dialogveranstaltungen wie acatech am Dienstag seien dafür eine perfekte Gelegenheit.
Im einleitenden Impulsvortrag ging Tobias Heimann, Head of AI Germany bei Siemens Healthineers, auf verschiedene Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Gesundheitsversorgung ein. Er veranschaulichte an Produkten und Prototypen von Siemens Healthineers KI-unterstützte Methoden zur Bilderkennung oder zur Analyse pathologsicher Befunde. Damit solche KI-Systeme sinnvoll und erfolgreich zur Anwendung kommen können, sei eine mehrstufige Entwicklung erforderlich, basierend auf hinreichend guten Daten: Nur ein großer und für die Ziel-Bevölkerung einer Behandlung möglichst repräsentativer Datensatz lasse die richtigen Schlüsse zu. Die Anonymisierung beziehungsweise Pseudonymisierung der Blutwerte, CT- oder MRT-Aufnahmen von Patientinnen und Patienten habe vor diesem Hintergrund im ersten Schritt der Entwicklung zuverlässig zu erfolgen. In mehreren weiteren Stufen, über Annotation, Training und Validierung sowie einen abschließenden Vergleich mit dem jeweiligen Stand der Technik können neue KI-gestützte Prozesse eingeführt werden. Durch KI-gestützte Software und Robotersysteme könnten diese Gesundheitsdaten dann automatisch ausgewertet werden, was laut Tobias Heimann dabei helfe, auch in Zeiten von Ressourcen- und Fachkräftemangel die Versorgung der Patientinnen und Patienten aufrecht zu erhalten.
Peter Dabrock, Mitglied im acatech Präsidium und der Plattform Lernende Systeme, Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen, brachte seine Wahrnehmung der Entwicklung der Technik durch den Einsatz von KI in der Medizin in die Diskussion ein. Einerseits sei er von den Möglichkeiten fasziniert, die sich beispielsweise in der Krebsfrüherkennung ergeben. Andererseits forderte er eine neue Sichtweise auf den Datenschutz. Das Zusammenspiel dreier Aspekte hob er dabei hervor: der einzelne Patient müsse souverän über seine Gesundheitsdaten bestimmen können, die angewendeten Systeme zur Datenerfassung und -speicherung müssten robust und vertrauenswürdig sein und die Freigabe der eigenen Daten solle auch an solidarischen Prinzipien ausgerichtet sein. Nur unter diesen Bedingungen könnten zuverlässige Daten gewonnen werden. Die Bereitschaft zur Freigabe der Daten dürfe keine Nachteile für die Einzelne oder den Einzelnen haben – eine „gesundheitsbezogene Datenspende“ könne wahrscheinlicher werden, so Peter Dabrock.
Auch Ärztinnen und Ärzte benötigen für die optimale Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten eine große Menge an Daten. Behandlungsmethoden, die sich auf eine Algorithmen-unterstützte Datenauswertung stützen, seien bereits im Praxisalltag angekommen, beschrieb Karen von Mücke, Ärztin und Vertreterin des Bündnisses für Datenschutz und Schweigepflicht. Dennoch oder gerade deswegen sind ihr auch die Grenzen ausufernder Datenerfassung wohl bewusst. Nicht-kompatible Systeme, wiederholt angeforderte Bestätigungen innerhalb eines bereits digitalisierten Arbeitsschritts führen aktuell, insbesondere auch durch die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA), für sie zu erheblichem Mehraufwand – Zeit, die ihr für die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten fehle. Die Einführung der ePA werde von einer Diskussion um die Form der Zustimmung – Opt-out, wie es aktuell vorgesehen ist, bzw. Opt-in – dominiert. Für eine freie Entscheidung der Patientinnen und Patienten seien jedoch viel wesentlicher die Fragen, welche Daten genau weitergegeben werden und potenziell für die Forschung genutzt werden können. Insbesondere weil viele Diagnosedaten sehr sensibel sind, sei es wichtig, dass die Bereitstellung der persönlichen Gesundheitsdaten immer auf freiwilliger Basis passiere, betonte Karen von Mücke, insbesondere mit Blick auf psychische Erkrankungen.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurden viele der von den Expertinnen und Experten aufgeworfenen Aspekte kontrovers diskutiert: Ob Datensicherheit, Freiwilligkeit und Solidarität der Datenfreigabe, ob Aufklärung der Patientinnen und Patienten über den Nutzen der Gesundheitsdaten in der Forschung oder die Frage, wem die Gesundheitsdaten eigentlich gehören – der Austausch zwischen Technikwissenschaft und Gesellschaft steht hier gerade am Anfang.
München, 25.07.2023
Autor: Dr. Martin Bimmer, acatech
Bildnachweis: © acatech