Jubiläumsgottesdienst am 12.10.2022 um 16 Uhr

Ein Herz für die Weltstadt –
50 Jahre Münchner Insel

München, siebzehn Jahre nach Kriegsende. Die schlimmsten Schäden bereinigt, der Schutt der Zerstörung vor der Stadt aufgetürmt, Blick nach vorne. Aus 40.000 Vorschlägen wählt die Stadt den Leitspruch aus, der München die nächsten 40 Jahre orientieren wird: „Weltstadt mit Herz“. Zum Anspruch als Weltstadt gehört die Bewerbung für Olympia. Nach dem Zuschlag wird geplant und gebaut. Unter dem Marienplatz entsteht ein zentraler Verkehrsknotenpunkt, der zehntausende Menschen täglich - einem Herzen gleich -in die Stadt pumpen soll.

München, siebzehn Jahre nach Kriegsende. Die schlimmsten Schäden bereinigt, der Schutt der Zerstörung vor der Stadt aufgetürmt, Blick nach vorne. Aus 40.000 Vorschlägen wählt die Stadt den Leitspruch aus, der München die nächsten 40 Jahre orientieren wird: „Weltstadt mit Herz“. Zum Anspruch als Weltstadt gehört die Bewerbung für Olympia. Nach dem Zuschlag wird geplant und gebaut. Unter dem Marienplatz entsteht ein zentraler Verkehrsknotenpunkt, der zehntausende Menschen täglich - einem Herzen gleich -in die Stadt pumpen soll.

Auch die Kirchen erfasst der Geist des Aufbruchs. Wie präsent sein in einer Weltstadt mit Herz? Natürlich auch im Herzen der Weltstadt! So kommen katholische und evangelische Kirche gemeinsam auf die Idee, im Herzen der Stadt für das, was die Menschen der Stadt auf dem Herzen haben, da zu sein. Weihbischof Ernst Tewes, der evangelische Dekan Theodor Glaser sowie Fachleute aus der kirchlichen Beratungsszene setzen den Plan in die Tat um. Die Stadt stellt drei Kioske nebeneinander im Untergeschoss zur Verfügung. Am 20. April 1972, noch vor Eröffnung der U-Bahn am 28. Mai, wird die ökumenische, offene Beratungsstelle als „Münchner Insel“ mit einem feierlichen Gottesdienst ihrer Bestimmung übergeben.

 

Das Konzept, das gemeinsam erarbeitet wurde, bewährt sich bis heute: Ratsuchende kommen, ohne dass eine Voranmeldung nötig ist. Sie können anonym bleiben. Sie werden gleich am Eingang von einem oder einer Berater:in empfangen, und das Gespräch findet in einem geschützten Beratungszimmer statt. Wer zum ersten Mal kommt, wird nach Möglichkeit nicht wieder weggeschickt. Alle Mitarbeitenden versehen den gleichen Dienst: Auskünfte geben im Empfang, Beratungsgespräche unter vier Augen führen, je nach Bedarf. Sie kommen aus verschiedenen Grundberufen und haben verschiedene therapeutische Zusatzausbildungen. Sie lernen voneinander, damit sie für möglichst viele Themen zuständig sein können, und haben regelmäßig Supervision mit einer von außen kommenden Fachkraft.

 

Die Mitarbeitenden der ersten Stunde wussten nicht, was genau auf sie zukommen würde. Ob sich überhaupt Menschen hinein trauen? Mit welchen Anliegen? Schon bald stellte sich heraus: Es kommen Menschen, und sie kommen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen. Die Bandbreite ist so groß und vielgestaltig wie das Leben selbst: die einen wollen Auskünfte und Informationen, die anderen über persönliche Probleme sprechen. Sie haben Eheschwierigkeiten, leiden unter Ängsten oder Einsamkeit, plagen sich mit dem Sinn ihres Lebens, sind psychisch erkrankt oder in einer akuten Krisensituation. 

 

Vor Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Krise besuchten jährlich über 7000 Menschen die Münchner Insel. Das sind fast 30 Beratungsgespräche pro Tag. Mehr als die Hälfte davon mit Menschen, die zum ersten Mal kommen. Von März 2020 bis Oktober 2021 konnten  Beratungsgespräche nur telefonisch oder mittels eines neu eingerichteten Video-Beratungssystems stattfinden, das auch weiterhin genutzt werden kann.

 

Gerade in den aktuellen Krisenzeiten erweist sich das schnell verfügbare und niedrigschwellige Krisen- und Lebensberatungsangebot der beiden Kirchen als so wertvoll wie selten zuvor. Der psychische Druck auf viele Menschen nimmt zu, die äußeren Einschränkungen, Beziehungen zu pflegen und zu leben, nagen an der seelischen Substanz. Wie groß das Bedürfnis ist, zeigen die über 10.000 Gesprächskontakte im Jahr 2021, davon über 4000 längere Beratungsgespräche, die meisten davon telefonisch.

 

Wie gut, dass München im Herzen der Stadt ein Herz für seine Bürgerinnen und Bürger hat!

 

Norbert Ellinger

 

Norbert Ellinger ist Pfarrer an St. Markus, Supervisor und Coach – und der evangelische Leiter der Münchner Insel, Krisen- und Lebensberatung im Untergeschoss vom Marienplatz.